Arbeit in der Nacht. Der Poet, der putzt.

↑ Coelho sorgt für die Sauberkeit im Bad Scuol. Schichtbeginn: 4 Uhr 

Carlos Coelho (58) ist stellvertretender Teamleiter des Nacht-Reinigungsteams im Bogn Engiadina Scuol. Mit dem weltberühmten Autor Paulo ist er nicht verwandt, aber die beiden haben einiges gemeinsam.


Schlafen Sie gerne und lange?

Ich träume viel, aber ich erinnere mich nicht daran oder die Erinnerung kommt erst ein paar Tage später. Man wird ja immer älter und braucht weniger Schlaf.

Wann arbeiten Sie?

Um vier Uhr morgens beginnt meine Schicht, die dauert bis 13.30 Uhr.

Wo machen Sie Pause? Mit wem?
Und was essen Sie dann?

Für die Pausen könnte ich nach Hause gehen. Ich wohne gerade gegenüber vom Bad. Am liebsten mache ich aber eine kurze Pause und gehe dafür früher. Wir entscheiden das selbst. Im Nacht-Team sind wir alles Männer. Meine Marenda mache ich mir selber – ich habe lange als Koch gearbeitet, war sogar Sous-Chef. Beim Essen bin ich sehr heikel. Ich esse höchstens einmal im Monat Fleisch, mache mir Sandwiches mit Sprossen, Eiern und dazu einen Ingwershot, esse viel Bohnen oder Humus. Seit fünf Jahren habe ich ein Problem mit Fleisch. Ich mag es gerne, denke aber zu viel an die Tiere.

Was wollten Sie früher einmal werden?

Architekt. Aber meine Träume habe ich verloren. Wenn man seine Träume verliert, ist der Beruf einfach ein Weg, Geld zu verdienen. Es gab diesen Augenblick in meinem Leben, als all meine Freunde Geld hatten und ich keins. Da habe ich mich gegen ein Studium entschieden und eine Lehre als Feinmechaniker gemacht. In der Schweiz habe ich angefangen zu kochen. Dann kam die Stelle beim Bogn Engiadina. Heute bin ich ein Architektur-Tourist.

Wie kam es, dass Sie anfingen nachts zu arbeiten?

Man kann nicht sein Leben lang kochen. Mit Kindern ist es in der Hotellerie kompliziert.

Was hat sich in Ihrem
Leben durch die Nachtarbeit verändert?

Ich habe dadurch etwas Geld verloren (lacht). Dafür hatte ich nachmittags Zeit. Für meine Kinder, meine Hobbys. Ich bin in Angola neben dem Meer geboren. Aber in die Berge habe ich mich sofort verliebt. Heute könnte ich nicht mehr ohne die Berge leben.

Was sind die Herausforderungen Ihres Berufes?

Es gibt nicht viele. Das Verteilen der Schläuche ist körperlich streng. Wir arbeiten immer vier Tage am Stück und haben dann zwei Tage frei. Da trifft es auch Wochenenden. Eine Zwischensaison gibt es nicht. Aber wir sind drei verwandte Familien im Dorf. Jemand war immer für die Kinder da.

Welche Stunden sind die härtesten?

Früher war es das Aufstehen (lacht).

Ist es gruselig, nachts zu arbeiten?
Gibt es Geister? Sonstige Begegnungen?

Ich glaube nicht an Geister.

Was können Sie besonders gut und was sogar besser als andere?

Nichts. Der einzige Grund, warum ich Stellvertreter bin, ist, dass ich sieben oder acht Ausbildungen habe und es gut mit mir läuft. Klar wird es ab und zu laut – wir sind alles Portugiesen –, aber wir reden und dann ist gut.

Erhalten Sie ausreichend Wertschätzung?

Wir bekommen viele Komplimente. Die Rückmeldungen sind immer gut. Aber wenn ich pensioniert bin, werde ich hier nicht genug zum Leben haben. Wir haben neben Porto ein Haus gebaut, in einem kleinen Dorf – neben einem Berg.

Haben Sie Hobbys?

Ich gehe in die Berge und fahre Velo – auch im Winter – und Ski. Das habe ich mir selbst beigebracht. Nach dem Ausgang mit meinem Bruder haben wir auf einem Müllsammelplatz Skier und Schuhe gefunden. Damit sind wir losgezogen. Ich bin auch Messerschmied und schreibe Bücher. Von Paulo Coelho habe ich alles gelesen. Meine Gedichte schreibe ich oft unter einem Pseudonym. Es sind traurige Gedichte von der Liebe. Vom letzten Buch habe ich 12’000 Exemplare verkauft. Beim Putzen bleibt bei mir oft ein Wort hängen und daraus wird dann ein ganzes Gedicht.

Welches ist Ihre
persönlichste Nachtgeschichte?

Einmal habe ich abends nach Kassenschluss das Bad kontrolliert. Da lagen noch Kleider in einer Kabine. Plötzlich kam mir ein nackter Mann entgegen. Ich habe ihn gefragt, was er mache. «Tja, das Leben ist so», sagte er, «es ist ein Risiko!» Er verschwand durch die Tür, raus in den Winter und ward nie mehr gesehen. Seine schönen Kleider haben wir dem Roten Kreuz gespendet.

Text: Flavia Brüesch | Bild: Mayk Wendt 

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